Mohammad flüchtete im Mai 2015 vor dem Krieg und Terror in seiner syrischen Heimat. Dem Kölner Fanprojekt erzählte er die Geschichte seiner Flucht.

Mohammad wuchs in Darʿā auf, einer Stadt im Südwesten Syriens, unweit der jordanischen Grenze. Sein Leben verlief bis zum Bürgerkrieg ähnlich wie das eines jungen Erwachsenen in Europa. Er spielte Fußball, traf sich mit Freunden und rebellierte als Familienjüngster gegen seine drei älteren Geschwister, darunter zwei Brüder und eine Schwester. Nach seinem Schulabschluss war Mohammad als Grafiker für ein Unternehmen tätig und forcierte damit sein Interesse an Kunst zu einem Beruf. Mit dem Bürgerkrieg änderte sich vieles. Ausgehend von den Protesten gegen die Regierung Baschar al-Assads entwickelte sich die Geburtsstadt Mohammads zu einem Ort, indem Terror und ständige Angst vorherrschten. Im Jahr 2015, als die Flüchtlingsströme nach Mitteleuropa das beherrschende Thema vieler Schlagzeilen waren, erreichte der Terror in Darʿā seinen vorzeitigen Höhepunkt. Soldaten der syrischen Armee klopften an Türen von Familien, um deren Söhne für den Bürgerkrieg zu rekrutieren. Mohammads Bruder hatte sich aus Angst, im Krieg sein Leben zu verlieren, schon Monate vorher nach Deutschland abgesetzt. „Ich musste fliehen, weil ich Angst hatte, im Krieg kämpfen zu müssen“, erklärt Mohammad.

Mit nur 23 Jahren fasste auch Mohammad den Entschluss, sich von seiner Familie und seinem Leben in Syrien zu verabschieden, um ein besseres Leben in Europa beginnen zu können. In seiner Heimat, in derer keine Zukunft für sich sah, regierten der Terror und die Angst vor dem Tod. Gegen den Willen seiner Mutter fuhr er mit samt seinen Ersparnissen zuerst nach Aleppo, von wo aus er in die Türkei und schließlich nach Izmir gelangte. „Meine Mutter flehte, dass ich nicht gehe“, äußert sich Mohammad zu seinem Vorhaben seine Familie zu verlassen. Von seinem Traum in Deutschland zu leben und dem Wiedersehen mit seinem Bruder, der zu dieser Zeit bereits in einer Flüchtlingsunterkunft in Lemgo lebte, war er noch weit entfernt. Dieser stellte über die Entfernung von tausenden Kilometern den Kontakt zu einem Schlepper her, der Mohammad und 30 andere Flüchtende von Izmir bis nach Griechenland bringen sollte.

„Wir hätten alle sterben können“.

Zweimal scheiterte der Versuch, mit dem Schlauchboot von der Türkei auf das griechische Festland, in der Nähe Athens, überzusetzen. Beim dritten Mal klappte es. Für ihn ist heute nicht mehr vorstellbar, was bei einem Kentern des Bootes hätte passieren können: „Wir hätten alle sterben können“. Junge Männer zwängten sich neben Familien mit Kleinkindern auf wenige Quadratmeter, stets mit der Angst von der Küstenpolizei entdeckt zu werden. In Griechenland stach ein junger Mann aus Mohammads Gruppe das Schlauchboot kaputt, um nicht von den griechischen Grenzsoldaten wieder zurück aufs Meer geschickt zu werden.

Von Athen fuhr Mohammad mit dem Bus an die griechisch-mazedonische Grenze, um von dort aus zu Fuß nach Mazedonien überzusetzen. Viele Flüchtende taten es ihm gleich. Darunter Kinder, die auf dem Weg unter der großen Belastung zusammenbrachen und von den restlichen Erwachsenen in der Gruppe getragen wurden. Über Serbien setzte er seinen Weg nach Ungarn fort. Neben wenigen Nächten, die Mohammad in Pensionen verbringen konnte, schlief er vor allem neben der Straße oder im Wald. Begleitet von der ständigen Angst durch die nationale Polizei entdeckt zu werden, so auch in Budapest. Als er die ungarische Hauptstadt mit vier weiteren Personen erreichte und eine Unterkunft innerhalb der Stadtgrenzen suchte, warnten ihn andere Flüchtende davor, dass die Polizei Menschen ohne Ausweisdokumente für mehrere Tage inhaftierte. Zu weit war Mohammad schon gekommen, zu viele Bürden hatte er auf sich genommen, um nun seine Träume aufzugeben und in seine Heimat zurückzukehren. Nationalstaaten, die mit der Masse an flüchtenden Menschen auf der Balkanroute nach Mittel- und Nordeuropa überfordert waren, gaben den Menschen das Gefühl, nicht willkommen zu sein.

In Budapest fanden Mohammad und weitere Flüchtende jemanden, der sie mit dem Auto über die österreichische Grenze nach Deutschland bringen sollte. In Bayern angekommen, holte ihn ein Freund seines Bruders ab und fuhr ihn bis nach Lemgo, wo er seinen Bruder nach monatelangen Entbehrungen und Strapazen wieder in die Arme schließen konnte. Der 27. Juni 2015, Tag seiner Ankunft in Deutschland, ist Mohammad ins Gedächtnis gebrannt. „Wieder duschen und in einem Bett liegen zu können, war das schönste Gefühl“, erinnert sich Mohammad mit einem Lächeln. Bei seinem Bruder konnte Mohammad nicht bleiben und wurde nach einem dreiwöchigen Aufenthalt in einem Übergangslager von Bielefeld nach Köln geschickt, wo er sein gegenwärtiges Zuhause erreichte. In den folgenden zwei Jahren lebte er in einem Wohnheim für Geflüchtete in Köln-Lövenich, besuchte mehrere Deutschkurse und nahm an verschiedenen Projektangeboten sozialer Träger teil. So zum Beispiel ein Fußballangebot, bei dem Geflüchtete mit Kölnern zusammen trainieren. Nach zwei Jahren im Wohnheim, das er sich mit etwa hundert anderen Menschen teilte, konnte er im Jahr 2017 eine Einzimmerwohnung in Köln-Ehrenfeld beziehen und lernte seine jetzige Freundin kennen. Ein Jahr später wurde der heute 26-jährige Mohammad Vater einer Tochter und hat eine Ausbildung als Lagerist begonnen. „Ich bin für alles dankbar, was mir in Deutschland widerfahren ist“, sagt Mohammad. Für die Zukunft wünscht sich Mohammad einen festen Job und ein Wiedersehen mit seiner Familie in Syrien, zu der er seit drei Jahren nur telefonisch Kontakt halten kann.

Der Bericht ist Teil der aktuellen Broschüre „Flucht und Fußball“, welche hier heruntergeladen oder als Printausgabe kostenlos bei unserem Mitarbeiter Carsten Blecher unter c.blecher@fanprojekt.jugz.de bestellt werden kann.